Alpenüberquerung “auf die leichte Tour”
Tour vom 22.08. bis 28.08.2019
Zu Fuß über die Alpen? Woran sich bis vor einigen Jahren nur asketische Weitwanderfreaks wagten, wird inzwischen für die breite Masse immer beliebter. Die wohl bekannteste Route führt entlang des Fernwanderwegs E5 von Oberstdorf nach Meran und gilt, gerade im August, als stark überlaufen. Deshalb entschieden wir uns für die Route vom Tegernsee nach Sterzing, die wegen ihres Verlaufs auf leichten bis mittelschweren Wegen und der komfortablen Übernachtungsmöglichkeiten in Pensionen und Hotels statt auf (zur Hochsaison oft lange im Voraus ausgebuchten) Berghütten gerne auch als „Genuss-Variante der Alpenüberquerung“ beworben wird. Ausreichend Kondition für bis zu 7 Stunden Gehzeit und 1.200 Höhenmeter im Auf- und Abstieg sollte man aber auch hier mitbringen, sonst stößt man schnell an seine Grenzen.
Wir starten an einem Donnerstag um 9:03 Uhr mit dem Zug am Bahnhof Triesdorf. Wir, das sind Andrea, Beate, Luisa und Petra, vier bergbegeisterte (Sports-)Freundinnen, die sich übers Laufen kennengelernt haben. Mit dabei haben wir jeweils einen Rucksack mit 35 bis 45 Liter Fassungsvermögen, in dem die minimalistische Ausrüstung für die nächsten sieben Tage untergebracht ist. Schwerer als 12 kg sollte er nicht sein, denn wir haben keinen Gepäcktransport gebucht und tragen ihn also während der gesamten Tour auf dem Rücken. Als Gewichtsobergrenze für den Rucksack gilt übrigens 20 % des eigenen Körpergewichts.
Etappe 1: Gmund – Kreuth
Gegen Mittag erreichen wir den Bahnhof Gmund, wo uns unser erster Weg in die Tourist-Info führt. Da die meisten Pensionen verständlicherweise keine Zimmer für Einmal-Übernachter blocken und wir wiederum im Hinblick auf die Gestaltung der Etappen flexibel bleiben wollen, haben wir nichts vorgebucht. Wenige Minuten später haben wir dank der freundlichen Beratung zwei Doppelzimmer in Kreuth und starten entlang des Westufers des Tegernsees. Der Tegernseer Höhenweg im Osten steht wegen der wolkenverhangenen Aussicht nicht zur Debatte, auch die Ruderfähre fährt heute nicht. Der Laune tut dies keinen Abbruch, hatten wir doch schon im Zug sicherheitshalber doppelt auf unsere Tour angestoßen. Nach knapp 18 km erreichen wir Kreuth, stärken uns mit bayerischer Küche, reservieren für den nächsten Tag unsere Unterkunft in Achenkirch und fallen zufrieden ins Bett.
Etappe 2: Kreuth – Achenkirch
Vorbei an Wildbad Kreuth geht es über einen Steig, auf dem wir mehrere kleine sowie eine größere, geführte Gruppe überholen, die bereits mit den ersten Höhenmetern der gesamten Tour überfordert scheint. Auf 1.550 m ist der Sattel unterhalb des Schildensteins (1.613 m) erreicht. Hier teilt sich unsere Gruppe kurz: Zwei, im Folgenden Team 1 genannt, machen sich auf zum Gipfelkreuz, können wegen des noch immer wolkenverhangenen Himmels aber keinen weiten Ausblick genießen. Zwei, im Folgenden Team 2 genannt, gehen direkt weiter zur unscheinbaren deutsch-österreichischen Landesgrenze und warten auf der urigen Blaubergalm bei Kaspressknödelsuppe und Kaffee auf die beiden Gipfelstürmerinnen. Danach geht es zusammen weiter über Waldwege ans nördliche Ende von Achenkirch, wo wir uns in einer gemütlichen Ferienwohnung einquartieren dürfen und von der Wirtin eine Ladung Wäsche gewaschen bekommen – ja, wir kriegen tatsächlich schon am zweiten Tag zu viert die Maschine voll! Direkt nebenan gibt es leckere italienische Küche und wir sind nach knapp 29 km (inkl. Weg zum Schildenstein und zurück sowie einer ungeplanten Ehrenrunde) wunschlos glücklich.
Etappe 3: Achenkirch – Maurach bzw. Pertisau
Am dritten Tag teilen wir uns erneut auf. Dank guter Wetterprognose kann Team 1 den fordernden Weg über Seekarspitze (2.053 m) und entlang eines schmalen und ausgesetzten Grats zur Seebergspitze (2.085 m) in Angriff nehmen. Diese Route ist vor Ort als schwarz ausgewiesen, man sollte also neben Trittsicherheit und Schwindelfreiheit auch Konzentration und eine gute Ausdauer mitbringen, erst recht, wenn man mit 10 bis 12 kg Gepäck herumkraxeln muss. Belohnt werden wir dafür mit einem fantastischen Ausblick auf Achensee, Rofan, Karwendel und weit darüber hinaus. Die Rast auf der Seebergspitze fällt nur kurz aus, weil wir ein dumpfes Donnergrollen vernehmen. Zum Glück bleiben wir aber während des Abstiegs nach Pertisau weitgehend trocken. Von Pertisau nehmen wir nach knapp 25 km und 1.450 Höhenmetern Aufstieg den Bus nach Jenbach und fahren von dort mit der Zillertalbahn nach Gagering/Fügen zur nächsten Unterkunft. Team 2 wählt die Standardroute über Mariensteig und Gaisalmsteig entlang des Westufers des Achensees. Dieser Weg gilt als einer der schönsten in Tirol. Nach einem Badestopp geht es an Pertisau vorbei nach Maurach. Die Überlegung, von dort weiter nach Jenbach zum Zug zu wandern, zerschlägt sich, als ein heftiger Regenschauer niedergeht. Auch hier ist der Bus das Mittel der Wahl.
Etappe 4: Gagering/Fügen – Hochfügen
Auch am vierten Tag sind wir getrennt unterwegs: Team 2 fährt mit der knapp 4 km langen Spieljochbahn zur Bergstation auf 1.860 m und genießt an Spieljoch und Onkeljoch die Aussicht auf die Zillertaler Bergwelt. Der Fügener Hausberg wurde in den letzten Jahren zum „Erlebnisberg“ ausgebaut und lockt mit Attraktionen wie Flying Fox und Wasserspielplatz. Team 1 verzichtet auf den Trubel am Gipfel sowie auf die Bergbahn und wandert im schattenspendenden Mischwald über steile Stufen zur Mittelstation hinauf – der Schweiß fließt in Strömen! Von dort geht es vorbei an endlosen Blaubeerfeldern über Höhenwege auf gleicher Strecke wie bei Team 2 weiter zu Geolsalm (1.733 m), Gartalm (1.860 m) und Loassattel (1.682 m) bevor wir nach 24 km den Wintersportort Hochfügen erreichen. Hier haben wir uns mangels Alternativen ein Hotel gebucht, müssen uns beim Check-In aber erst einmal vergewissern, dass der aufgerufene Preis tatsächlich für vier Personen gilt und nicht pro Person, so beeindruckt sind wir von der Ausstattung der Zimmer, der Sonnenterrasse und dem Wellnessbereich. Da hatten wir wohl ziemliches Glück mit unserer Last-Minute-Buchung und der Tatsache, dass wir an einem Werktag zur Alpenüberquerung aufgebrochen sind. Die Unterkünfte sind nämlich überall wesentlich voller, wenn man als Samstags- und Sonntagsstarter unterwegs ist.
Etappe 5: Hochfügen – Mösl bzw. Mayrhofen
So ungern wir uns auch von den flauschigen Bademänteln trennen (Mitnehmen ist natürlich keine Option, aber auch nur, weil sie nicht in den Rucksack passen …), wir müssen weiter. Taleinwärts geht es an der Pfundsalm (1.640 m) vorbei stetig bergauf zum Sidansjoch (2.127 m). Auf der Rastkogelhütte, die der DAV Sektion Oberkochen gehört, genießen wir bei Hollerschorle und Kaffee das sonnenbeschienene Panorama, danach geht es in unschwierigem Gelände weiter über Mitterwandskopf (2.280 m), dem höchsten Punkt der gesamten Tour, Rauhenkopf (2.264 m) und Arbiskopf (2.133 m) zum Melchboden an der Zillertaler Höhenstraße. Da der nächste Linienbus dort erst in eineinhalb Stunden abfährt, wandern wir weiter bergab nach Mösl (1.480 m) zur nächsten Haltestelle. Dort trennen wir uns wieder und Team 1 macht sich an den weiteren Abstieg nach Mayrhofen (633 m) über den steilen, aber schönen Wanderweg nach Schwendberg. Team 2 wird beim Warten an der unüberdachten Haltestelle erneut von einem heftigen Regenschauer überrascht, kann sich aber in eine offene Garage flüchten. Der Bus kommt – und fährt an den Wartenden vorbei! Das eilig organisierte Sammeltaxi braust so rasant die Serpentinen hinunter zum Bahnhof Ramsau/Hippach, dass sich Team 2 glatt nochmal das Frühstück durch den Kopf gehen lässt. Karma? Egal, mit der Zillertalbahn geht es weiter nach Mayrhofen, wo bald darauf auch Team 1 eintrifft: nach knapp 35 km zwar etwas erschöpft, aber dafür ohne Regendusche und mit vollständigem Mageninhalt.
Etappe 6: Mayrhofen – Afens
Trotz der schlechten Erfahrung von Team 2 am Vortag wird wieder Bus gefahren: Von Mayrhofen geht es zum Schlegeisspeicher auf rund 1.800 m. Die Abfahrtszeit von 7:55 Uhr jagt Team 1 kalte Schauer über den Rücken, fürchten die beiden Vielfraße…frühstückerinnen doch ernsthafte Zeit- und damit auch Mengeneinbußen bei der morgendlichen Schlacht am Buffet. Dennoch stehen wir pünktlich mit zahlreichen anderen Alpenüberquerern an der Haltestelle und können um kurz nach Neun vor der traumhaften Kulisse des künstlich angelegten Speichersees sowie den dahinterliegenden Gletschern unsere heutige Etappe starten. Der Anstieg zum Pfitscher Joch führt uns entlang eines mäandrierenden Bachs vorbei an der Lavitzalm (2.095 m) auf eigens ausgerichteten Steinplatten. Kurz vor dem Pfitscherjochhaus (2.275 m) passieren wir die österreichisch-italienische Staatsgrenze. Nun beginnt der Abstieg zum südtiroler Weiler Stein, den wir in der Mittagshitze erreichen. Über einen leicht erhöhten Wiesenweg, von dem aus wir Bauern beim schweißtreibenden Hantieren mit Balkenmähern in abenteuerlichen Hanglagen beobachten können, kommen wir schließlich in St. Jakob an. Unsere Etappe ist hier aber noch nicht zuende, hatten wir uns doch am Vortag darauf geeinigt, in Afens Quartier zu beziehen, um damit die letzte Etappe nach Sterzing auf 10 km zu verkürzen. Der Weg von St. Jakob über Kematen nach Afens verläuft zu großen Teilen auf engen Straßen mit Leitplanke auf der einen Seite und Fels oder Mauer auf der anderen und macht wohl auch ohne die sengende Sonne an diesem Tag nicht viel Spaß. Er kann aber auch mit dem Bus verkürzt werden. Nach 29 km erreichen wir unsere Unterkunft und beglückwünschen uns angesichts des leckeren und reichlichen Essens zu unserer Entscheidung, Halbpension gebucht zu haben.
Etappe 7: Afens – Sterzing
Mit Entsetzen stellen wir morgens fest, dass bereits der letzte Tag unserer Alpenüberquerung angebrochen ist. Die letzten 10 km verlaufen nach anfänglichen leichten Orientierungsschwierigkeiten problemlos und wir folgen den mit „Ü“ ausgewiesenen Wanderwegschildern ins 7000-Einwohner-Städtchen Sterzing, wo der Zwölferturm zur Begrüßung das Zwölf-Uhr-Geläut anstimmt. Nach ausgiebigem Shopping von Südtiroler Spezialitäten geht es auch schon zum Flixbus, der uns zurück nach München bringen soll. An der Haltestelle treffen wir auf Friederike aus Berlin, die wir wegen ihres lässigen, für Bergtouren aber eher ungeeigneten Outfits zunächst nicht für eine Alpenüberquererin halten. Ihr Rucksack, eine Art Turnbeutel, ist zu klein für Wechselklamotten oder eine wärmere Schicht, dafür hat sie gleich zwei Smartphones dabei. Stolz erzählt sie uns aber, die gesamte Route in den profillosen Turnschuhen bestritten zu haben, die sie auch jetzt an den Füßen trägt. Wir verzichten darauf, sie nach ihrem Plan B für einen oder mehrere Schlechtwettertage zu fragen. Vielleicht mag man bei dieser „Genuss-Variante“ auch so über die Alpen kommen, zu empfehlen ist es aber sicher nicht!
Im gut besetzten Bus haben wir, erneut dank Last-Minute-Buchung am Vorabend, die eigentlich teureren Panoramaplätze in der ersten Reihe zugewiesen bekommen und können bei der Fahrt über den Brenner nochmal das großartige Bergmassiv bewundern. In München steigen wir am ZOB aus und treten dann mit dem Zug die Heimreise an.
Fazit:
Die Alpenüberquerung auf der Route vom Tegernsee nach Sterzing ist unschwer und mit durchschnittlicher Fitness gut machbar. Bewegungsmuffel im Alltag, die „einfach mal so“ eine Transalp mitmachen wollen, werden aber auch die „Genuss-Variante“ nicht genießen können. Wem Tagesetappen zwischen 10 und 20 km zu viel sind, der kann mit Bus oder Bahn abkürzen oder auch zusätzliche Tage einbauen. Auch Gepäcktransport wird angeboten, so dass man die Etappen mit einem leichten Tagesrucksack bestreiten könnte. Die zu bewältigenden Höhenmeter sind bei der Standardvariante überschaubar.
Wer sich gerne mehr fordert, verzichtet auf Bus und Bahn oder nimmt den ein oder anderen Gipfel abseits der ausgewiesenen Route mit.
Für alle gilt jedoch gleichermaßen, den eigenen Fitnesszustand nie zu überschätzen und unbedingt die körperliche Belastung über mehrere Tage hintereinander zu berücksichtigen!
Andrea Irrgang
Beate Schulz
Luisa Ordner
Petra Krauß